Aliano - bizarrer Ort der Literaturgeschichte in Kampanien

Ist das noch Italien? Von der Schnellstraße unten im Agri-Tal abgebogen, dem kleinen gelben Schild "Aliano, Museo Storico Carlo Levi" gefolgt, zwölf Kilometer den Berg hinauf: Dort ist das Dorf, in das der Turineser Schriftsteller Carlo Levis ("Christus kam nur bis Eboli") 1935 von den Faschisten verbannt worden war. Dort ist die Basilicata, der fernsten aller fernen Landstriche Italiens. Carlo Levi hatte seinen Aufenthalt in dieser abgelegenen Gegend im oben erwähnten Buch geschilderte, auf dessen Grundlage in den achziger Jahren auch ein Film gedreht wurde. Aber - reicht die Vorstellungskraft für die Realität?

Nach ein paar Kurven ist das grüne Land plötzlich ganz nackt, faltig und weiß wie ein ausgebleichter Knochen. Erdfurchen tun sich auf. Lehmkegel zerbeulen die Hügel, Klippen fallen steil in tiefe Schluchten. Ganz oben, auf dem höchsten Lehmabsturz, liegt Aliano. Es eröffnet sich eine archaische Schönheit, ein karg erscheinendes Leben, Lichtjahre entfernt von allem, was man von Italien kennt - raum-und zeitlos.


Auf der neuen Dorfstraße von Aliano schlägt einem plötzlich eine trotzig verlorene Gegenwart entgegen: Die meisten Dorfbewohner haben sich irgendwann auf das schmale Hochplateau geflüchtet und manierliche, zeitlos moderne Häuser gebaut. Sie bieten ihnen seit dem großen Beben Anfang der achtziger Jahre auch Zuflucht vor den alltäglichen Erdrutschen, wenn der Regen die schutzlose Kruste mit sich in die Ewigkeit hin abreißt.

Unten im Centro Storico, dem ursprünglichen Aliano, das heute fast verlassen ist und wo auch das Wohnhaus von Carlo Levi langsam verfällt, krallt sich wie eine Ansammlung von Schwalbennestern das alte Dorf an die Felsen. In dunklen Fensteröffnungen flattern Hühner. Bis vor kurzem lebten die Menschen noch mit ihren Tieren zusammen. Carlo Levi hat das Lebensgefühl so beschrieben: "Wir sind keine Christen, keine Menschen, wir gelten nicht als Menschen, sondern als Tiere, als Lasttiere und noch geringer als Tiere und Koboldwesen, die doch ihr freies, teuflisches oder engelhaftes Dasein leben."

Und schon wieder eine Kluft, der Blick in eine andere Welt, die noch nicht fertig ist. Zerknittert, verworfen, einem Gerippe ähnelnd, aus dem wie ein unsichtbarer Nebel die Stille steigt, denn die Geräusche fressen sich selber. Noch vor vierzig, fünfzig Jahren, auch das hat Carlo Levi erzählt, wohnten hier Drachen, Wolfsmenschen und Luftgeister.
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